Meine Woche — Mast have?
von Carlo Eggeling am 03.06.2023Meine Woche
Auf den Hund gekommen
Eher zufällig habe ich am Freitag Landrat Jens Böther getroffen, der Christdemokrat ist ein praktischer Mann. Es ging um Windkraft und wie viele Propeller wohl im Landkreis noch aufgestellt werden müssen, um die Vorgaben zu erreichen. Hunderte. Allein in der Region würde dann mehr Strom produziert als ehemals von den vier Atomkraftwerken an der Elbe, also Krümmel, Stade, Brunsbüttel und Brokdorf. Das ist erst einmal toll, weil wir immer mehr Autos und Fahrräder unterm Hintern haben, die mit Energie betrieben werden sollen. Was wenig im Bewusstsein scheint, machte Böther klar: Der Strom soll beispielsweise nach Bayern, Baden-Württemberg oder ins Ruhrgebiet fließen, um in Fabriken Maschinen anzutreiben. Die Folge sind Leitungen und Umspannwerke.
Heissa, ich würde sagen, da ist noch viel Bürgerbeteiligung gefragt. Generell finden es zwar fast alle doof, dass der Klimawandel uns bedroht, aber Veränderungen vor der eigenen Tür sind noch doofer. Das erleben wir gerade in Deutsch Evern. Da möchte die Telekom einen Sendemast errichten, um die Abdeckung mit Internet und Telefonie zu verbessern, unter anderem für die nahe Bahnlinie. Klar, das finden die Nachbarn nicht so gut, ein anderer Standort wäre sinnvoller. Bloß an anderen Standorten stehen bereits Riesen-Antennen. Es bedarf daher wenig Überlegung, warum die Planer den Signalgeber dort hinsetzen möchten. Ach ja, fürs Homeoffice könnte so ein Mast ebenfalls Sinn machen.
Jetzt stelle ich mir vor, Windräder und Stromleitungen wachsen üppig, mit Hochspannungsmasten oder verbuddelt unter der Erde. Ob dann Klima-Bewegte vorbeikommen und für den Bau von Stromleitungen demonstrieren oder sich festkleben, weil es aus ihrer Sicht eigentlich vorangeht? Gibt es vor Ort Soli-Gruppen?
Natürlich, das ist polemisch. So darf Journalismus nicht sein. Beeindruckt hat mich heute ein Leserbrief in der LZ: "Wichtig wäre doch zu vermitteln, dass die von der Mehrheit befürwortete Wende in jedem Fall für den Einzelnen vernünftige Kompromisse erfordert. Die Haltung 'Energiewende ja, aber nicht vor meiner Haustür' verhindert immer wieder einen zügigen und geordneten Fortschritt. Hier könnte der Journalismus wirklich aufklärende und erzieherische Arbeit leisten."
Aufklärende und erzieherische Arbeit. Da schaudert's mich. Ich dachte, die DDR samt ihrer Propaganda-Zeitungen wäre untergegangen. Wer erzieht wen zu was und warum? Ich habe mal gelernt, Journalisten berichten, sie richten nicht, richten ist Aufgabe von Gerichten. Informieren, kritisieren, und fragen, wie gut die angeblich Guten so sind, damit hätten Medien gut zu tun. In vielen Redaktionen scheint es, als ob sich das Leben aus dem Uni-Seminar für Nachhaltigkeit fortsetzt. Allerdings leben die meisten Bürger anderes als in Berlin-Mitte, Hamburg-Ottensen oder dem Roten Feld.
Kann sein, dass auch deshalb Leser Zeitungen und ihren Varianten den Rücken kehren, weil ihnen die redaktionelle Solidarität mit der letzten Generation und den Überbleibseln von Fridays for Future auf den Wecker geht. Der Straßenkampf zeigt: Lkw-Fahrer, Monteure und auch andere Vertreter der arbeitenden Klasse ziehen akademische Demonstranten von der Straße. Die finden einen BMW besser als den gepredigten Verzicht und das Versprechen, die Welt zu retten. Vor allem nervt der Stau. Klassenkampf der anderen Art.
Kommen wir zu einer schwerwiegenden Nachricht. Die Stadt Lüneburg will die Hundesteuern erhöhen und dabei wegweisend sein. Das ging der Ratsvorsitzenden Jule Grunau nahe, als Lokalpolitiker das Thema diskutierten: "Wenn wir schon etwas neu aufsetzen wie jetzt die Hundesteuersatzung, dann ist Gendern wichtig." Wuff. Ich habe nur nicht verstanden, ob damit Herrchen, Frauchen und alle anderen Formen gemeint sind oder die Vierbeiner*innen.
Politik und Verwaltung sollten sich diesen Beschluss zum Vorbild nehmen, wenn sie Telekom- und Hochspannungsmasten aufstellen. In gendersensibler Sprache erklären wie wichtig alles ist. Das Verständnis wächst bestimmt. Wenn nicht, haben wir immerhin mal drüber gesprochen. Und Hunde freuen sich, die heben das Bein gern an einem Mast. Carlo Eggeling
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