LoCarlos Woche
von Winfried Machel am 16.07.2022Meine Woche
Umgedreht
Im Rat gab's mal wieder Streit, also Politik. Ganz ungewohnt seit vergangenem Spätherbst. Bei so viel Kuscheln dachte man, SPD, CDU und FDP seien eingeschlafen. Die Linke dümpelt mehr oder weniger sprachlos herum, die AfD besitzt keinen Einfluss und mäkelt immer, die beiden sind zu vernachlässigen. Doch dann: Widerspruch und Abstimmungen, da kassierten die stärkste Fraktion im Rat, die Grünen, und ihre Oberbürgermeisterin beim Handheben schlicht Niederlagen. Egal, wie man zu den Ergebnissen steht, Debatten, Positionen, Kontra. Das geht nämlich, weil die drei Parteien mehr Stimmen als die Grünen besitzen. Opposition ist machbar.
Das rot-schwarz-gelbe Trio votierte dafür, dass man ein in wenigen Wochen vorliegendes Parkraumbewirtschaftungskonzept abwartet, bevor man Stellflächen streicht. Da half auch nicht, dass grüne Mathematik die Zahl von 125 Parkplätzen plötzlich auf 40 runterrechnete und den Schrecken an die Wand malte, dass Fördermittel infrage stünden. Gemach, antworteten die anderen: Es ist noch genug Zeit.
Oberbürgermeisterin Claudia Kalisch war gar nicht amüsiert und will nun zur Kommunalaufsicht, weil sie die Abstimmung der anderen für fragwürdig hält. Der Verwaltungsausschuss habe dem Streich-Konzept schon zugestimmt. Doch dann stellt sich die Frage, warum alles noch einmal in den Rat kam. Hat die Chefin nicht aufgepasst? Formfehler? Die Stimme Kalischs klang ein wenig schrill, bei dem unbotmäßigen Widerspruch.
Aber die Grünen und Frau OB haben gelernt. Vom Vorgänger. Wenn Ulrich Mädge von Abstimmungsergebnissen genervt war, drohte er auch gern mit den Kommunalaufsicht. Fanden die Grünen unmöglich. Zu recht. Es nervte. Jetzt also verdrehte Welt.
Beim geplanten Baugebiet Wienebüttel passiert das, was lange diskutiert wurde: Trotz eines Normenkontrollverfahrens, dass am Oberverwaltungsgericht läuft und voraussichtlich nicht vor Sommer kommenden Jahres entschieden wird, haben die drei Schlingel beschlossen, dass man mit vorzeitigen Erschließungsarbeiten beginnen könne. Dort sollen mehr als 350 Wohneinheiten, davon 120 Sozialwohnungen entstehen. Die Grünen waren von Anfang an gegen den kleinen Stadtteil. Aber wie gut, dass man ein wohl überschaubares Risiko aufpumpen kann, für Versorgungsleitungen und Kanalisation könnten im schlimmsten Fall Kosten von bis zu 18 Millionen Euro auflaufen. Die wären bei einem Nein in den Sand gesetzt. Allerdings hält es Baudezernentin Heike Gundermann, erfahren und seit einem Vierteljahrhundert im Amt, für unwahrscheinlich, dass die Richter das gesamte Gebiet kippen, vielleicht gebe es Änderungen. Zudem hätten Fachanwälte die Papiere geprüft und für korrekt erklärt.
Die Grünen wollten das, was sie bei den Parkplätzen für unsinnig hielten, die Entscheidung vertagen. Also stimmten sie dagegen oder enthielten sich. Auch Frau Kalisch enthielt sich. Die Oberbürgermeisterin, die, als sie ins Amt kam, die Kompetenz ihrer Mitarbeiter gelobt hatte, vertraut ihnen hier augenscheinlich wenig, denn im Beschlussvorschlag der Verwaltung heißt es: "Der Rat der Hansestadt Lüneburg beschließt -- unter dem Vorbehalt einer positiven kommunalaufsichtsrechtlichen Prüfung --, dass mit der Erschließung des Baugebiets Am Wienebütteler Weg trotz der aufgezeigten Risiken bereits vor Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg über den Normenkontrollantrag begonnen werden soll."
Eine Enthaltung ist keine Entscheidung. Auf einem Schiff in rauher See geht man davon aus, dass der Kapitän weiß, was er tut. Na ja, es gibt andere Kapitän:innen. Aus dem Rathaus und seinen Ämtern ist zu hören, dass es auf der Kommandobrücke öfter mal vage bleibt.
Früher war alles besser. Da haben Wirte Discotheken betrieben, ohne daran zu denken, Geld verdienen zu wollen. Ihre Selbstlosigkeit klappte so gut, dass sie alle an ihre Läden Schilder hängen konnten: "Wegen Reichtum geschlossen". Und so verschwanden Garage, Vamos, Fun/Lollipop und wie sie alle hießen. Das war natürlich total gemein, weil die Herzlosen die Jugend im Stich gelassen hatten. Die muss nun auf der Kaufhausbrücke und am Kreidebergsee um ihr Überleben kämpfen und probt dabei Rebellion: Wummer-Boxen und zerdepperte Faschen vom Billig-Späti um die Ecke. Man mag es politisch betrachten: Es ist eine Art spätes 1968, außerpalarmentarische Opposition. Mit viel Sympathie von denen, die irgendwo im Grünen wohnen. Der Ruhe wegen. Der Nachwuchs soll feiern, aber nicht im heimischen Garten.
Wirte von heute scheinen vor allem dusselig: Sie machen keine Discotheken auf, wollen schlicht nicht mit Geld überschüttet werden. Die Stadt springt auch nicht auf die Tanzfläche, um ein paar Clubs zu eröffnen. Echt fies. Dabei gehörten Discos immer schon zur Daseinsfürsorge wie Müllabfuhr und Straßenlaternen. Wer auf die vielen Kommentare zu diesem Thema schaut, gewinnt den Eindruck, es gebe fast so viele Gastro-Kenner wie Bundestrainer während der Fußballweltmeisterschaft. Mich erstaunt nur, dass angesichts dieser Expertise keiner der Jugendfreunde ein Tanz-Mekka eröffnet. Wäre doch auch mit dem Blick aufs Publikum pekuniär beinahe ein Kinderspiel.
Im vergangenen Jahr hat das Sozialdezernat der Stadt geholfen, damit ein Beach im Lünepark entstehen konnte. Klar, dass Experten auch daran etwas auszusetzen haben. Alles langweilig, selbst wenn man noch nie dort war. Deshalb muss man auch gar nicht erst hingehen. Außerdem sind die Preise zu hoch. Aha. Beim Sound muss um 22 Uhr Schluss sein, und vorher darf es nicht zu laut sein. Das gilt gleichfalls für den Kultursommer auf den Sülzwiesen.
Beide Veranstaltungen enden in diesem Jahr; ob es Wiederholungen gibt? Wo? Es fühlt sich schnell jemand gestört. Die große Schwarmintelligenz gebiert keine Idee. Rathausspitze und Politik, sonst gern mit Foto bei jedem Kram dabei, pflegen in diesem Punkt Ruhe. Kultur findet in leerstehenden Läden in der Innenstadt ihre Bühne. Aquarelle können unheimlich ausdrucksstark sein. Vor allem leise. Lieber mal wieder eine Resolution, die man an Land und Bund schicken kann und die in irgendeiner Schublade verschwindet. Die Oberbürgermeisterin kündigte schon etwas Wortgewaltiges im Rat an. Nach der Sommerpause. Junge Leute können so lange wegfahren. Wozu gibt es das Neun-Euro-Ticket bis Ende August?
Disco, damit wären wir bei Layla. Nicht bei der Göttlichen Eric Claptons: "Layla, You've got me on my knees", sondern bei der, die man neuerdings gern beim Feiern hört und die sie so gar nicht in unsere gender-sensible Zeit passt: Puffmama und dann auch noch "schöner, jünger, geiler". Kann man sich echt drüber aufregen. Genauso wie über Udo Jürgens Alter-Sack-Hymne "17 Jahr, blondes Haar", Peter Maffay "Und es war Sommer, Ich war 16 und sie 86" oder so ähnlich oder Peter Rubin "Ich möcht' der Knopf an Deiner Bluse sein, dann könnt' ich nah, nah, nah, nah, nah bei Deinem Herzen sein". Auch die Spider Murphy Gang mit ihrem "Skandal im Sperrbezirk" 1982: Draußen vor der großen Stadt, da steh'n die Nutten sich die Füße platt".
Puh, war das alles schlimm. Jetzt auch noch das. Aber es ist Sommer. Da fehlt noch ein Krokodil im Baggersee, eine Sichtung von Nessi im Loch Ness oder eben die Ödnis in Lüneburg. Fallen Sie nicht ins Sommerloch. Gutes Wochenende.
Carlo Eggeling
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