LoCarlo über Goldsterne und Generationswechsel
von Winfried Machel am 28.06.2022Der Mann an der Front geht in den Ruhestand
Roland Brauer ging Konflikten nicht aus dem Weg, auch nicht wenn es brenzlig wurde. Der Polizeidirektor ging mit auf Streife. Was für "Goldsterne" ungewöhnlich ist. Eine Bilanz und ein Adieu
Er steckte an der Bardowicker Straße Knöllchen hinter die Scheibenwischer von Falschparkern, bei denen, die für die Polizei zu den Protagonisten der sogenannten Clan-Kriminalität zählen. Während der Corona-Pandemie unterband er eine Demonstration der Blumenhändler, die nicht auf dem Markt ihre Ware verkaufen durften, obwohl Baumärkte zu dieser Zeit Pflanzen verkauften. Da legte er sich gar mit dem damaligen Oberbürgermeister Mädge an, der auf Seiten der Marktleute stand. Bei zig Demos begleitete er seine Kollegen weit vorne. Das ist nicht bei jedem Polizisten selbstverständlich, der goldene Sterne auf den Schulter trägt. Jetzt geht Polizeidirektor Roland Brauer in Pension. Zeit für eine Bilanz.
Die Spitze der Lüneburger verändert sich komplett, Generationswechsel. Fast eineinhalb Jahrzehnte standen drei Männer für die Führung an der Ilmenau und die drei Landkreis Lüneburg, Uelzen und Lüchow-Dannenberg. Kripo-Chef Steffen Grimme ist bereits gegangen, Vize-Polizeipräsident Hans-Jürgen Felgentreu, der die Inspektion lange leitete, bevor er im Herbst 2019 zur Direktion wechselte, und eben Brauer verabschieden sich nun. Alle drei haben ein Jahr an ihre reguläre Dienstzeit dran gehängt. Auch Jens Eggersglüß, jetziger Chef der Inspektion, wechselt in eine neue Position -- das ist ein offenes Geheimnis innerhalb der Polizei.
Brauer kam 1978 nach dem Abitur zur Polizei. Der gebürtige Lübecker durchlief alle Stationen, vom Polizeiwachtmeister bis zum Polizeidirektor. In einer Hundertschaft schob er ebenso Dienst wie in der Verwaltung und als Leiter von Kommissariaten. Nach Lüneburg kehrte er nach Jahren in Winsen/Luhe wieder zurück als Leiter Einsatz. Das meint vor allem die Beamten, die in Uniform auf der Straße ihren Dienst versehen. Den gefährlichsten, wie sich viele auch in Spezialeinheiten einig sind: Sie wissen nie, wie sich eine alltägliche Situation entwickeln kann.
Bei allen schweren Situationen, Schießerei an der Rotehahnstraße, am Klinikum, in Kaltenmoor, Unfällen, Auseinandersetzungen bei Demonstrationen, besitze der Job viele gute Seiten. So nennt er als einen Erfolg die Polizeireiter in der Elbtalaue. Seit elf Jahren kommen im Sommer vier Kollegen mit ihren Tieren aus Hannover ins Biospährenreservat um nach dem rechten zu schauen: "Die Kollegen in Mecklenburg-Vorpommern beneiden uns darum." Bürgernah und vor Ort. Immer Resonanz in den Medien.
Brauer stellt sich vor und hinter seine Leute. "Er strahlt Autorität aus", heißt es aus dem Einsatz- und Streifendienst. Eigentlich kümmerten sich die Goldsterne nicht wirklich die Wache und liefen Streife. Bei Brauer sei es anders. Polizeisprecherin Julia Westerhoff, die frisch aus dem ESD kommt, erinnert sich, wie Brauer mitten in der Nacht da war, nachdem Kollegen Angehörigen nach einem tödlichen Motorradunfall die furchtbare Nachricht überbringen mussten.
Auch deshalb haben sie ihm eine Zeitungsseite gebaut, ein besonderes Spiel organisiert, um so Danke zu sagen. Brauer weiß, dass er am Mittwoch eine Träne verdrücken -- oder fließen lassen -- muss, weil er sich von "einer Gemeinschaft, ja Kameradschaft, aber keiner Kameraderie" verabschieden muss, wie er sagt. Polizei hat sich gewandelt, junge Kollegen sind heute anders ausgebildet. Brauer spricht von der Würde, die manch einer denen zurückgibt, der sie nicht mehr leben kann: Wenn psychisch Kranke nackt durch die Stadt laufen und dann von den Beamten einen Schutzanzug erhalten und in eine Klinik gebracht werden.
Dass der Job nicht einfacher geworden ist, sagt Brauer auch. "Ich wüsste nicht, ob ich mich immer so beherrschen könnte." Denn anders als zu seiner Streifenzeit hat der Respekt vor der Uniform abgenommen. Heute werden Beamte nach seinem Eindruck eher bepöbelt und angegangen. Das spiegeln Zahlen wider: Polizisten werden in Einsätzen öfter verletzt.
Lüneburg sei schon jetzt die "Hauptstadt der Demonstrationen", 2020 wurden in Lüneburg 215 Veranstaltungen angemeldet, rund neunmal mehr als 2018, da waren es laut Stadt 24. "Wir stehen jedes Mal dazwischen", sagt Brauer. Denn immer öfter stehen sich unterschiedliche Lager gegenüber: "Wir müssen einen Interessenausgleich herstellen, es ist nicht immer leicht." Brauer glaubt, dass der Ton noch schärfer werden könnte, wenn Weltlage und Politik die Menschen viel stärker treffen: "Bei 30 Grad im Schatten kann man es sich nicht gut vorstellen, aber wie ist es, wenn Menschen im Winter frieren?"
Nicht mehr sein Job. Darüber machen sich andere Gedanken und halten Kopf und Knochen hin. Er gehe mit "zwei lachenden Augen", gute Kollegen und ein guter Nachfolger. Um die drei Enkel will er sich mehr kümmern und dann mal schauen. Langweilig wird es nicht werden. Nicht bei Roland Brauer. Carlo Eggeling Foto: ca
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