Winsen, am Montag den 18.08.2025

LoCarlo: "Die Fakten sind zwar ein bisschen doof."

von Winfried Machel am 08.10.2022


Meine Woche
Klein ganz groß

Es sind oft Kleinigkeiten, die für das Große stehen. Vor ein paar Wochen hatte man im Bauamt beschlossen, die Aktion Lüne-Paten zu streichen. Zweimal hatten Lüneburger junge Bäume gespendet und etwa in Kaltenmoor oder auf dem ehemaligen kleinen Parkplatz an der Willy-Brandt-Straße gepflanzt. Bürgerbeteiligung im besten Sinne. In diesem Jahr, in dem so vieles anders läuft, strich die Verwaltung das Projekt. Es gebe etwas Besseres. Nun meinen sich einige daran zu erinnern, dass der Rat beschlossen hatte, das Projekt über fünf Jahre laufen zu lassen.

Doch im Rathaus schüttelt man mit dem Kopf. So sei's nicht. Ja, ja, es gebe zwar einen Beschluss, das Vorhaben unbefristet laufen zu lassen. Aber die Welt sei nun eine andere. Kurz: Das Programm sei so erfolgreich, dass man nun keine Flächen mehr finde. Deshalb ein Stopp. Was Gärtner erzählen, nämlich, dass es an Kapazitäten mangle, die viele Bäume der Stadt in einem heißen Sommer zu gießen und man deshalb nicht noch mehr wolle, stimme nicht. Natürlich, wieder mal so ein Gerücht. Ganz böse.

Wortreich liest sich in einer Antwort der Stadt, dass man viel mehr tue, um Flächen zu entsiegeln, Bienen und Schmetterlingen Landebahnen zu schaffen. Das war allerdings auch vorher das Ziel, die Bürger einzubinden war ein Punkt von mehreren, aber ein wichtiger: Menschen tun etwas für ihre Heimat und das Klima. Neue Zeiten, da muss ein schöner neuer Name her: KluG – das steht für Klima und Grün in Lüneburg.

Ich glaube ja, dass "Klug" für etwas anderes steht, für: Es ist ziemlich klug einfach zu machen. Gerade im Bauressort, das ein eigenes Leben zu führen scheint und dem Ratsbeschlüsse nicht so wichtig erscheinen: Salzmuseum, Flüchtlingsunterkünfte, Skaterbahn, Bäume pflanzen. Immer kommt leider, leider etwas dazwischen. Klüger als die Politik sei man alle mal, raunt es. Mag ja sein, dass da jemand im Wahlkampf von Bürgerbeteiligung fantasierte als Versprechen. Doch der Praktiker weiß: Versprechen kann man sich häufiger mal.

Für den neuen Ansatz, der einen Kern der guten Sache unter den Tisch fallen lässt, den Bürger, gibt es keinen Ratsbeschluss, räumt die Pressestelle im Rathaus ein. Den alten als autokratisch geltenden OB hätten Linke und Grüne im Rat angezählt, mit Kommunalaufsicht und was weiß ich gedroht. Da hat sich was gedreht. Wer heute kritisiert, bekommt verpasst, dass er von alter Herrlichkeit träumt. Ist zwar abgenudelt nach einem Jahr. Aber auch in dieser Gruppe haben alte weiße Männer das Sagen. Alte weiße Frauen gibt es nicht -- das wäre vermutlich diskriminierend, und die Jungen haben anderes im Sinn.

Wer mit Mitarbeitern spricht, bekommt es karo einfach erklärt: An der Spitze der Stadt werden keine Entscheidungen getroffen, also mache man, wie man es für richtig halte. Denn anders als in der Vergangenheit haue niemand dazwischen und rufe im Zweifel den Sachbearbeiter direkt an.

Die Bäume, die nicht gepflanzt werden und für die es sicher reichlich Platz gäbe, sind eine Kleinigkeit, aber sie sie stehen für das Große: den schleichenden Prozess für geht nicht, kein Personal, passt gerade nicht, machen wir ein anderes Mal. Für Bürgerbeteiligung gibt's ab und an eine Sprechstunde, wenn es der überübervolle Terminkalender zulässt.

Heute lesen wir flammende Appelle wählen zu gehen, damit Niedersachsen so geführt wird, wie es das verdient. Klar, sollen möglichst viele zur Wahl gehen, um mitzubestimmen. Siehe oben: Verdruss beginnt im Kleinen, um dann groß zu werden.

Zum Schluss noch einmal Anspruch und Wirklichkeit. Selbstredend sind wir alle Klimaretter, schon um unsere Kinder und Enkel nicht ungnädig zu stimmen. Nicht auszudenken, wenn die Stimmung am Kaffeetisch am Sonntag mies ausfällt. Weniger Auto, viel Rad und Gemüse am liebsten selbstgezogen und wenn Fleisch, nur vom glücklich freischaffenden Huhn, das freudig gemeuchelt auf dem Teller liegt.

Im Spiegel habe ich gleich zwei Meldungen auf einer Seite gelesen, die mich zweifeln lassen am angeblichen Weg in die neue Zeit. Im Juni habe eine Beratungsfirma 19 000 Konsumenten in acht Ländern befragt, nach welchen Kriterien sie einkaufen. Ergebnis: „Klima- und Sozialstandards scheinen hierzulande beim Einkauf keine entscheidende Bedeutung zu haben. Das jedenfalls gilt im Vergleich zu Käufern aus Frankreich, Italien oder gar China.“ China. Ich sage nur China, ein Ausbund des Ökologischen.

Darunter ein Beitrag, demzufolge Amazon seine Lagerkapazitäten für Deutschland bis 2028 von 4,1 Quadratkilometern auf 8,4 mehr als verdoppeln will. Aber nicht in unserem Land, sondern in Polen, Tschechien und der Slowakei. Der Grund: hohe Löhne und die Auseinandersetzungen mit der Gewerkschaft Verdi. Aber wir lieben unseren Kiez und den Kaufmann um die Ecke.

Die Fakten sind zwar ein bisschen doof. Aber wenn wir alle im anderen Bewusstsein leben, ist es ja schon mal ein Anfang. In diesem Sinne. Sonne im Herzen. Carlo Eggeling

© Fotos: Carlo Eggeling


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