Winsen, am Montag den 18.08.2025

LoCarlo: Das Gradierwerk ist stillgelegt

von Winfried Machel am 02.10.2022


Das Gradierwerk ist stillgelegt und nackt. Die Reparatur kostet mehr als eine halbe Million Euro. Unklar, wann die Sanierung beginnt. Ein Blick auf den Kurpark. Den Beitrag findet Ihr auch im aktuellen Quadrat-Heft


Es ist ein Stück salziges Lüneburg, das sich nun nackt zeigt: Arbeiter haben das Reisig vom Holzskelett genommen. Aus Sicherheitsgründen, sagt der Geschäftsführer der Kurmittel GmbH, Dirk Günther: "Brandschutz." Eine Wand aus Schwarzdorn, Sole rieselt darüber, Gäste sitzen auf Bänken davor und genießen die salzige Luft ein. Ein bisschen Nord- und Ostsee am Rand der Heide. Gut für die Atemwege heißt es.

Doch nun tröpfelt diese Lüneburger Geschichte nicht mehr. Zwangspause. Wie lange die dauert? Ungewiss. Kein Geld für die Sanierung, heißt es vom Aufsichtsrat der städtischen Gesellschaft und von Geschäftsführer Günther. Steigende Energiepreise, damit habe das nahe SaLü arg zu kämpfen. Was die Zukunft bringt, sei unklar. Eben das habe Konsequenzen für das Gradierwerk.

Günther steht neben dem imposanten Bau. Er bedauert: "Die Sanierung kostet eine halbe Million Euro, mindestens. Nur für den Reisig. Dazu kommen Arbeiten an der Holzkonstruktion." Er atmet durch: "Vom Gefühl her sage ich, sofort wieder aufbauen, doch wirtschaftlich geht es nicht." Es sei schon ein Akt, die 75 000 Euro für den Ausbau und die Entsorgung des Reisig zu zahlen.

Corona, nun der Ukraine-Krieg mit all seinen Folgen -- das mache der Kurmittel GmbH zu schaffen, sagt Günther. "Wir haben alle Investitionen gestoppt. Ich muss versuchen, den Laden am Laufen zu halten. Und egal in welche Sitzung ich gehe, es gibt neue Horrormeldungen zu den Gaspreisen." Selbst wenn das Bad über Fernwärme geheizt werde, wirke sich der Gaspreis aus.

Kritiker bezweifeln allerdings, ob das Bild wirklich so düster ausschaut, wie der Geschäftsführer es malt. Kurz: Das Bad sei gerade für 25 Millionen Euro saniert worden. Zudem habe die Stadt der Kurmittel GmbH zwar vor langer Zeit das Gradierwerk übertragen, aber dazu auch ein Aktienpaket der Avacon. Ausweislich des Wirtschaftsberichts der Gesellschaft floss daraus im vergangenen Jahr eine Dividende von weit mehr als sechs Millionen Euro. Das müsse es doch möglich sein, die Kosten für die Sanierung des Gradierwerks über die nächsten zwei, drei Jahre hinzubekommen.

Günther winkt ab: "Wir haben eine Krisensituation, die wird nach Meinung von Fachleuten drei bis fünf Jahre anhalten." Der Erhalt des Bades gehe vor, und: "Mit dem Gradierwerk verdiene ich keinen Euro."

Trotzdem wünschen sich viele Lüneburger, das Gradierwerk wieder genießen zu können bei Ausflügen in den Park. Das hat auch mit der Geschichte zu tun.

Salz war immer wieder Lüneburgs Schicksal. Als der Kurpark 1907 eingeweiht wurde, hatten dafür die Saline und ihr Chef Otto Sachse eine entscheidende Rolle gespielt. Der Bergrat hatte mit der Stadt vereinbart, dass diese Gelände zur Verfügung stellte. Damit knüpfte Lüneburg an eine touristische Vorlage an -- und baute sie aus: Die Geschichte begann 1813. Damals stellte man nahe dem Haus des damaligen Salinendirektors zwei Holzwannen auf, heißt es in einer Festschrift der Kurmittel GmbH aus dem Jahr 1979. Die bescheidenen Anfänge des Solbades waren lukrativ: Zwischen 1814 und 1817 nahm man 2326 Taler ein, hatte aber lediglich Ausgaben von 1316 Talern.

Doch der erhoffte Erfolg stellte sich nicht so recht ein. Das änderte sich erst Jahrzehnte später, als mit Otto Sachse ein neuer Mann an der Spitze stand, der andere Wege ging. In der Saline war man glücklich: 1906 zählten die Verantwortlichen 800 Gäste und 11 000 Bäder. So schlug die Geburtsstunde für den Kurpark, wie wir ihn noch heute kennen. Der aus dem Harz kommende Sachse überzeugte den Magistrat, ihm 60 Morgen Land zwischen dem ehemaligen Sülztor und dem Bockelsberg zu überlassen. Der Stadtteil Rotes Feld war da noch Zukunftsmusik.

Der Journalist Ulrich Werther, geboren kurz vor der Wende zum 20. Jahrhundert, beschrieb die Situation der Stadt vor gut mehr als 100 Jahren in seinen Lebenserinnerungen 1982 so: "An der Uelzener Straße waren lediglich einige Privathäuser längs des Kurparks errichtet. Die gegenüberliegende Straßenseite grenzte an das noch völlig unbebaute Rote Feld. Von der Ecke Kefersteinstraße bis zum Ilmenaugarten zog sich quer hindurch ein Trampelpfad. Am Eisenbahndamm, etwa im Zuge der heutigen Friedrich-Ludwig-Jahn-Straße, befand sich damals noch eine Ziegelei." Der Park wurde damit auch zur Verbindung zu den Wäldern am Bockelsberg und dem Tiergarten so wie zur Roten Schleuse.

So eröffnet Sachse am 30. Juni 1907 mit geladenen Gästen den Park, den die Gebrüder Siesmayer aus Frankfurt nach dem Vorbild eines englischen Landschaftsgartens entworfen haben, mit dem schmucken Kurhaus mit einem 180 Quadratmeter großen Saal sowie einer Terrasse, die 100 Besuchern Platz bietet. Auch eine Trinkhalle für die Sole, ein Musikpavillon und natürlich ein Badehaus gehören dazu.
Parallel dazu locken die frisch eingeweihten Pensionen wie Erika und Heiderose Gäste. Damals flaniert der wohlhabende Gast über die Wege, lernt vielleicht eine entzückende Dame kennen. Die Kurschatten sitzen vor dem Gradierwerk um salzige Luft einzuatmen.

Johanna Reisel hat 1987, also 80 Jahre später, über den denkwürdigen Tag in der Landeszeitung notiert: „Alles ist für die Gäste bereit: 13 Solbäder mit acht Holzwannen und fünf überaus modernen, weiß gekachelten. Dazu sieben Kinderbäder und vier Moorbadezellen. 60 sollen es eines Tages sein, Architekt Matthies hat alles für den Ausbau der drei Flügel bis hin zum Kesselhaus vorausgeplant.“

Lüneburg setzte mit seiner idyllischen und schönen modellierten Landschaft auf Kurgäste. Das Gradierwerk gehörte zum Konzept, 1927 erweiterten es die Verantwortlichen. Ursprünglich wurden solche Konstruktionen anders als in Lüneburg zur Salzgewinnung eingesetzt: Sole rieselte über Schwarzdornreisig. Sonne und Luft ließen Wasser verdunsten, Salz blieb für eine Ernte übrig. Obendrein freuen sich die Atemwege über die würzige Luft. Die Brise besitzt durch das Salz eine antiseptische Wirkung.

Als Urlaubsort gewann Lüneburg an bescheidener Bedeutung, damals wuchsen Logierhäuser und Pensionen in Villen namens Erika, Heiderose und Auguste Viktoria sozusagen als Kurschatten an der Uelzener Straße empor. Inzwischen verschwunden und durch mondäne Stadtvillen ersetzt.

Als Sol- und Moorheilbad warb die Stadt für sich, offiziell trug sie den Titel als staatlich anerkanntes Bad allerdings nur zwölf Jahre lang von 1977 an -- dann fanden Gutachter die Luft in Lüneburg zu dick. Der ehemals riesige Acker vor der Stadt war nun vom Verkehr umspült. Der Niedergang begann vorher: Besucher blieben weg. Nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Einmarsch der Briten am 18. April 1945 nutzten die Engländer das Kurhaus für ihre Offiziere. Die Deutschen bauten im Garten Kartoffeln an, sie hatten Hunger.

Zurück zum Gradierwerk. Im vergangenen November musste es gesperrt werden, weil Reisigbündel herausbrachen. Die geplante Reparatur muss größer ausfallen und teurer als erhofft. Es soll geschaut werden, wie sehr die Holzkonstruktion gelitten hat, Spezialisten aus Polen könnten den Bau wieder herrichten.

Allerdings waren die Probleme zu erwarten. Denn bekannt war, alle 12 bis 20 Jahre müsse ein Gradierwerk auf Vordermann gebracht werden. Lüneburgs ehemaliger Stadtarchäologe Prof. Dr. Edgar Ring sagt: "Salz und Feuchtigkeit greifen das Holz natürlich an." Zuletzt sei der Reisig 2001 ausgetauscht worden -- gut zwanzig Jahre ist das her. Ring sagt, was naheliegt: Sinnvoll wäre es, nach einer Reparatur immer etwas in den Sparstrumpf stecken, um dann in Zukunft nicht blank dazustehen. Günther sagt, aus rechtlichen Gründen gehe das nicht.

Bleibt nur die Hoffnung, dass die Politik den Schatz erkennt und handelt. Carlo Eggeling

Die historischen Ansichten aus dem Kurpark stellt das Stadtarchiv freundlicherweise zur Verfügung. Die aktuellen Fotos (ca) zeigen Geschäftsführer Dirk Günther und Arbeiten am Gradierwerk, als das Reisig abgenommen wurde.

© Fotos: Stadtarchiv / Carlo Eggeling


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