LoCarlo: Lüneburger Gesichter (31)
von Winfried Machel am 09.08.2022In einer lockeren Reihe stelle ich unbekannte Bekannte vor
Hauskonzert. Uralt und topmodern
Die Jazzmusiker Massoud Godemann und Gerd Bauder gastieren am Freitag in Lemgrabe. Für Godemann ist es auch eine Heimreise
Der Vergleich mit dem 16., 17. Jahrhundert gefällt Massoud Godemann, er nennt ihn im Gespräch drei-, viermal: "Es ist ein bisschen wie im Barock. Konzerte verschieben sich ins Private, wir spielen wie bei Grafen und Baronen." Wir meint in diesem Fall ihn selber und seinen Kollegen Gerd Bauder, Massoud an der Gitarre, Gerd am Bass. Das Duo gastiert am Freitag, 12. August, 20 Uhr auf dem Kulturhof in Lemgrabe. Eingeladen hat die beiden Hans Seelenmeyer, der aus der Stadt aufs Dorf gezogen ist, um dort ein Wohn- und Kulturprojekt umzusetzen. Hof und Halle -- ideal für Veranstaltungen in einem kleinen Rahmen.
Massoud ist in Scharnebeck zur Schule gegangen, daher kennen wir uns. Das Abi liegt vier Jahrzehnte zurück. Schon damals machte er Musik, in diesen Jahren noch am Bass. Hans saß am Schlagzeug. Wie das so ist, Bands probieren sich aus. Trennen sich, neue Wege, alte Verbindungen. Längst ist Massoud bei der Gitarre und beim Jazz angekommen, ein spezieller Markt, weit weg vom Mainstream.
Inzwischen er in Hamburg, und er lebt von seiner Musik. Die Frage, die ich stelle, finden Künstler generell blöd, die Antwort ist immer ein Bekenntnis: "Kannst du davon leben?" Massoud lacht am Telefon, ein bisschen genervt: "Das werde ich seit 40 Jahren gefragt. Es ist eine Frage der Lebenseinstellung. Ein Arzt mit Mundgeruch und schlechtem Benehmen hat keine Patienten. Du muss dich bewegen. Wenn das Glück anklopft, wird es gleich bedient. Es ist ja eine flüchtige Erscheinung, du kannst es nicht zwingen, zu dir zu kommen."
Bevor es klopft, versucht Massoud es einzuladen: Er ist viel in den sozialen Medien unterwegs, stellt sich, seine Kollegen und die Musik vor. Stücke bei Youtube. Er hat mit anderen Musikern verschiedene Formationen gegründet, Kunden können sie als Duo, Trio und Quartett buchen, unterschiedliche Programme wählen: "Eine Verfahrensweise wie im Barock." Ein Management lohne sich nicht, den Job übernimmt Massoud selber.
Hamburg als Bühne reicht nicht: "Da hast du irgendwann überall gespielt, dann kennt dich jeder. Wir treten bundesweit auf." In den heftigen Corona-Zeiten war das schwierig, kaum Konzerte. Doch auch jetzt könnte das Glück gern öfter anklopfen: "Für November und Dezember habe ich noch keine Buchungen, erst im März 23 geht es wieder los." Eine Tournee hätten sie abgesagt. Longcovid sozusagen: Viele hätten Angst, sich anzustecken, Veranstalter seien daher vorsichtig, ob sie überhaupt etwas veranstalten. Massouds Eindruck: "Die Spitze läuft, die Mitte und darunter laufen weniger bis kaum."
Wer die Szene verfolgt, weiß, dass er Recht hat. Konzerte etwa der Rolling Stones und von Cold Play, die mehrmals in Berlin auftraten, sind bestens gefüllt, der Lüneburger Kultursommer hingegen war laut den Machern oftmals eher mäßig besucht und ein Zuschussgeschäft.
Auf und ab, das kennt einer wie Massoud Godemann, der seit Jahrzehnten so lebt, wie er lebt. Er lacht wieder und sagt: "Am besten wäre das alte Prinzip Eisdiele, im Sommer verkaufst du in dem Laden Eis, im Winter übernehmen andere und kommen mit Keksen, Pullovern und Pantoffeln."
Nun also ein Auftritt in der alten Heimat, der er verbunden ist: "Meine Eltern leben hier und meine Freunde wie Achim Pelz und Wolfgang Bütow." Achim ist ebenfalls Musiker und ein Ewiger in der Szene, Wolfgang arbeitet als Grafiker und macht nebenbei Sendungen bei Radio ZuSa, die unter anderem den Sound der alten Disco Voodoo in der Altstadt und des Welcome in Hützel erklingen lassen. Doch auch Auftritte wie etwa im Café Klatsch halten den Kontakt lebendig.
Bei Hans an der Dorfstraße in Lemgrabe zu spielen "hat eine Bedeutung", sagt Massoud. "Das ist ein Freund." Sie haben zusammen gespielt, für beide sei es die erste Band gewesen. Das vergisst man nicht. Für beide liegt Zweidrittelleben dazwischen, gereifter, auf neuen Wegen. Das passt da draußen auf dem Land in seiner Abgeschiedenheit mit trockenstaubigen Feldern und pustigen Windrädern am Horizont ganz gut zusammen. Es geht immer was, gerade beim Jazz, von dem Massoud den Staub pusten möchte mit seinen Interpretationen.
In der Tradition steckt immer ein Anfang. Das erklärt sich ein wenig um die Ecke bei der -- natürlich unbeantworteten -- Frage nach seinem Alter: "Ich bin viel jünger als es mein Pass ausweist. Nichts ist schlimmer, als unterfordert zu werden." Bloß kein Stillstand. "Man muss viele Eisen im Feuer haben, um zu sehen, welches sich schmieden lässt." Klar. Aber am Freitag ist erst einmal ein wenig Barock angesagt: Ein intimes Konzert wie im Wohnzimmer eines Adeligen. Irgendwie aber auch ganz schön modern. Carlo Eggeling
Die Fotos (Fontaine Burnett) stammen von Massoud Godemanns Facebook-Seiten.
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