Ein Kampf ohne Ende
von Carlo Eggeling am 19.11.2022Wasser ist kostbar. Marianne Temmesfeld setzt sich dafür ein, dass es viele verstehen. Der Bürgerverein macht sie zur Bürgerin des Jahres
Lüneburger Gesichter (37)
In einer lockeren Reihe stelle ich unbekannte Bekannte vor
Wenn Marianne Temmesfeld rund um Rehlingen spazieren geht, sieht sie, wie sich die Landschaft verändert: Teiche schrumpfen, der Boden trocknet aus. Für sie Zeichen, dass der Wasserhaushalt nicht mehr in Ordnung ist. Das Nass sei kostbar, Grundwasser bedürfe eines besonderen Schutzes. Die Ärztin will handeln, sie engagiert sich in der Bürgerinitiative Unser Wasser. Zum Jahreswechsel 2020 wird bekannt, dass der Coca-Cola-Konzern mit einer Tochterfirma weitere 350 000 Kubikmeter Grundwasser für seine Marke Vio abpumpen will. Zu Beginn ist es vor allem ein Kampf gegen einen scheinbar gewaltigen Gegener, David gegen Goliath, es ist ein Bild, das Sympathien schnell verteilt. Bettina Schröder-Henning und Cornelia Hoellger gründen die BI. Die Medizinerin Temmesfeld stößt dazu. Sie wird das Gesicht und Sprecherin der Gruppe. Am Sonnabend zeichnete der Bürgerverein sie aus als Bürgerin des Jahres.
Gut 50 Gäste sitzen in der Kronen-Diele. Das Quartett spielt etwas aus Händels Wassermusik, was sonst? Vereinsvorsitzender Rüdiger Schulz steckt Marianne Temmesfeld den Sülfmeisterring als Auszeichnung an, lobt ihren Einsatz. Auf ihren Wunsch hält der Regisseur Daniel Harrich die Laudatio. Er hat an mehreren Orten die Dokumentation Unser Wasser gedreht. Harrich besuchte dafür auch Marianne Temmesfeld.
Wie er erzählt, nicht nur einmal, dazu kommen lange Telefonate. Sie sind per Du, es wirkt nicht wie das Verhältnis das Journalist und Interviewpartner gemeinhin haben. So wird seine Rede sehr persönlich: "Der Respekt für dich ist meinerseits grenzenlos. Sie hat Leute genervt und drangsaliert." Im positiven Sinne: "Marianne gibt nicht auf, sie ist stur." Die wehrt ab mit einem Lächeln. Zu viel Lob, andere hätten ihren Anteil.
Harrich zeigt Ausschnitte aus seinem Film, zeigt wie die BI 4596 Unterschriften an Landrat Jens Böther übergibt, eine Demo auf dem Marktplatz, wo Temmesfgeld sagt, sie wolle die neuen von Coca Cola geplanten Brunnen verhindern. Der Konzern hat investiert, Probebohrungen niedergebracht. Marianne Temmesfeld kommt zu Wort, weist auf Widersprüche hin. Es wird klar, dass sich das Unternehmen auf alte Datensätze beruft, die aus den 1960er bis Anfang 1990 stammen. Aktuelle Satellitenbilder der NASA zeigen, dass Deutschland in den vergangenen Jahren Wasser im Umfang des Bodensees verloren hat. Einfach gesagt: Das Land wird trockener, besonders betroffen neben anderen Regionen der Raum Lüneburg.
Der Regisseur sagt: "Ich habe sie gedrängt, in die erste Reihe zu treten, sie wollte andere vorschieben. Ich habe großen Respekt, wie du dich durchgesetzt hast." Denn das Unternehmen hat seine Pläne für den dritten Brunnen, zwei betreibt Vio bereits, aufgegeben. Vorerst, wie man betont. Begründung: Der Mineralwassermarkt gebe es nicht her, die Produktion zu steigern. Im Film sagt ein Sprecher, man stoppe das Projekt, ob für immer, bleibe abzuwarten. Das hänge von der Nachfrage ab.
Die BI sieht ihren Protest als Erfolg. David habe Goliath bezwungen. Es kann ein Etappensieg sein.
Warum Coca Cola, ein Kampf gegen den kapitalistischen Konzern? Es gibt Betriebe in Lüneburg, die wesentlich mehr Grundwasser entnehmen. Zum Kühlen, anschließend läuft es ab. Ungenutzt. Das Vio-Wasser wird getrunken. "Nein", sagt Marianne Temmesfeld im persönlichen Gespräch. Es gebe einen wesentlichen Unterschied: Der Konzern verkaufe das Wasser, das er für Centbeträge, aus der Erde holt, teuer in Plastikflaschen, "Wasser ist keine Handelsware".
Natürlich schaue die BI auf andere: Etwa die Firma Lohmann, die Wasser zum Kühlen nutzt. Die wolle ihre Produktion ausdehnen, dabei aber den Wasserverbrauch halbieren. "Wir sind da im Gespräch. Wir haben sie wachgeküsst." Sie habe die Idee, das Unternehmen mit anderen zusammenzubringen: Das warme Abwasser könnten andere nutzen, die Grundwasser entnehmen und erhitzen. Ob's klappt, müsse man sehen.
Andere nutzen den Schatz aus der Tiefe: die Landwirtschaft, "da müssen wir dicke Bretter bohren", der Bürger, der einen Pool füllt, seinen Garten wässert. Überall gelte es zu sparen. Die Gesellschaft müsse ihr Verhältnis zum Wasser überdenken. Es sei nicht selbstverständlich, genug davon zu haben. Die Sprecherin setzt dabei auch auf junge Leute: Schüler und Studenten, die beispielsweise Hausarbeiten zum Thema schreiben.
Sich zu engagieren, ist für Marianne Temmesfeld ein Teil des Lebens. Sie habe sich im Schulförderverein eingesetzt, habe für den Kinderschutzbund eine Stellungnahme zum Kita-Gesetz in Nordrhein-Westfalen erarbeitet. Und mehr Aber davon solle man nicht so viel Aufhebens machen. Sie ist Fachärztin für Allgemein- und Palliativmedizin, sie arbeitet tageweise in der Chirurgie der Klinik in Uelzen.
Dreißig Jahre habe die Familie mit ihren vier Kindern in Gladbeck gelebt, habe aber immer eine Verbindung nach Lüneburg gehabt. Ihr Vater habe ein Ferienhaus in Rehlingen besessen: "Da haben wir immer wieder Urlaub gemacht." Eine Tante, der ursprünglich aus dem Baltikum stammenden Familie, lebe in Lüneburg. Mit ihrem Mann sei sie sich einig gewesen: "Wenn die Kinder aus dem Haus sind ziehen wir in die Heide." Vor zwölf Jahren war es so weit. Und klar, auch hier wollte sie sich einmischen.
Nächste Woche werde sie 68, sagt sie. Eigentlich das Alter für die Rente. Aber sie hat noch eine Menge zu tun. Das Wasser bleibt als großes Thema.
Dafür muss sie trommeln, denn im Publikum fehlte die aktuelle Politik, für die Stadt kam statt Oberbürgermeisterin Claudia Kalisch Bürgermeisterin Jule Grunau, den Landkreis vertrat kreistagsvorsitzende Inge Voltmann-Hummes. Carlo Eggeling
Das Foto: Bürgervereinschef Rüdiger Schulz und Laudator Daniel Harrich gratulieren Marianne Temmesfeld zur Ehrung.
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