Ein Charmeur ohne Skrupel
von Christiane Bleumer am 08.05.2016Gregor Müller in seiner Rolle als Felix Krull: Selbst drei Bondgirls erliegen seinem Charme.
Schon früh erkennt Felix Krull seine besondere Begabung. Er kann verführen, sich verstellen, eine Rolle spielen und damit seine Umwelt perfekt täuschen. Eine Begabung, die vor allem nach dem frühen Selbstmord seines Vaters, eines Schaumweinfabrikanten, für ihn zu einer Überlebensstrategie wird. Doch die Gesellschaft macht es Felix Krull, der Titelfigur von Thomas Manns zeitlosem Romanklassiker, leicht. Nur zu gerne lässt sie sich von ihm hereinlegen, glaubt ihm und nimmt alles für bare Münze, was er vorspielt.
Wer könnte auch schon diesem charmanten Hochstapler widerstehen, der in der Adaption von John von Düffel bühnentauglich gemacht wurde und nun, gespielt von Gregor Müller in Lüneburgs letzter Schauspielpremiere gestern, 7. Mai, im Großen Haus zum Leben erwacht ist. Die Rolle ist dem Schauspieler auf den Leib geschrieben, es ist vor allem im ersten Teil des Abends eine grandiose One-Man-Show, die Müller abliefert. Nah am Original erweist sich das bunte Bühnenstück dabei auch sprachlich als Hochgenuss.
Der weiße Anzug kleidet Felix Krull gar vortrefflich, doch auch in seiner Arbeitskleidung als Liftboy oder Kellner in einem Pariser Hotel macht er immer die perfekte Figur. Kein Wunder, dass die Damenwelt, egal welchen Alters, auf diesen charmanten Jungen hereinfällt, der, wie er anfangs erläutert, über „seidenweiches Haar“ und eine Stimme verfügt, die „etwas Schmeichelhaftes für das Ohr“ hat. Auch auf die Männer übt Felix Krull einen beispiellosen Reiz aus, der seinen Höhepunkt findet, als ein verliebter Lord ihn sogar adoptieren möchte. Dieses Angebot schlägt er jedoch aus, tauscht lieber die Identität mit einem Marquis, für den er auf Weltreise geht. Der Rollenwechsel geht ohne Probleme von statten, und als die beiden vor ihrem Kleidertausch jeweils in Unterhose auf der Bühne stehen, ist wirklich kein Unterschied zwischen dem jungen Adeligen und dem Sohn des Schaumweinfabrikanten zu sehen.
Auch diese Rolle wird Felix Krull daher perfekt spielen, denn alle, denen er begegnet, sehnen sich danach, begehrt und geliebt zu werden. Und so werden seine Lügen und Hochstapeleien hingenommen und gerne geglaubt. Die Grenze zwischen Schein und Sein verschwimmt immer mehr. Betrug wird für Krull zu einem legitimen Mittel, seine Ziele zu erreichen. Er wirft damit Fragen auf, die auch heute in unserer Gesellschaft relevant sind: Was ist echt und was ist vorgespielt? In welche Rollen schlüpfen wir tagtäglich? Und bedienen wir uns nicht auch ständig kleiner Lügen und Betrügereien, um an unsere Ziele zu gelangen?
Am Ende gab es großen Applaus, vor allem natürlich für Gregor Müller, der als scheidendes Ensemblemitglied mit seiner letzten Rolle in Lüneburg einen wirklich nachhaltigen Eindruck am Theater hinterlässt.
In weiteren Rollen stehen die Ensemblemitglieder Matthias Herrmann, Ulrike Gronow, Maike Jebens, Fabian Kloiber, Felix Breuel und Britta Focht auf der Bühne. Für das Bühnen- und Kostümbild ist Mathias Rümmler verantwortlich. Die Inszenierung erarbeitete Stefan Behrendt. Weitere Vorstellungen 12.05. 20 Uhr / 22.05. 19 Uhr / 27.05. 20 Uhr / 04.06. 20 Uhr / 14.06. 20 Uhr / 22.06. 20 Uhr / 24.06. 20 Uhr.
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