Das Glück liegt im Sattel
von Carlo Eggeling am 20.05.2023Meine Woche
Wird schon
Manche kleben sich für ihre Überzeugung fest, andere fahren Rad. Am Freitagnachmittag brüllte jemand vor meinem Haus. Ein Mann radelte ziemlich mittig mit einem Teenager auf der Straße. Es störte ihn offensichtlich, dass er überholt wurde. Autofahrer würden nicht genug Abstand halten. Dazu muss man wissen, parallel der Straße verläuft ein Radweg. Einer dieser besonderen Wege in der Stadt. Weil die Piste den Vorschriften nicht entspricht ist er -- das heißt so -- nicht benutzungspflichtig. Gilt laut Stadt übrigens für 38 Prozent der Radwege in Lüneburg.
Also wähnte sich der Mann im Recht. Mag sein. Ich halte immer viel davon, auf die Wirklichkeit zu schauen. Da auf der einen Seite geparkt werden darf, wird es mächtig eng, wenn es Gegenverkehr gibt. Ich gestehe, ich habe gerufen: "Fahr auf dem Radweg. Mit einem Kind auf der Straße, das ist schlicht gefährlich!" Die Antwort, ich möge runterkommen, er erkläre mir die Regeln, und: "Fahren Sie weiter Auto!". Ich besitze kein Auto, erledige alles mit dem Rad. Egal.
Wer fürs Weltklima strampelt, ist immer im Recht. Paragraph 1 der Straßenverkehrordnung gilt selbstverständlich für die anderen: "Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht. Wer am Verkehr teilnimmt hat sich so zu verhalten, dass kein anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird."
Auch an der Amselbrücke braucht es einen erhabenen Blick. Die Querung ist im Eimer, die Stadt plant 2025 einen Neubau für aktuell 1,6 Millionen Euro. Wahrscheinlich wird es teurer, wird es ja fast immer. Wen wundert es, es geht natürlich um mehr. Wer gegen das Windrad in der Nähe ist, hat den Rotmilan auf seiner Seite, schreckliches Gehäcksel durch die Rotoren. Wie oft auch immer das zutreffen mag. Um eigene Interessen geht's nimmer.
Seit Monaten macht eine Anwohnerin mit Nachbarn mobil für ein Signal der "Klima- und Verkehrswende". Erkläre man die Holzbrücke zur reinen Fahrrad- und Fußgängerbrücke, käme es zudem einer Aktion Sparstrumpf gleich: Keine Kohle für den den Ausbau. Außerdem kappe man so den angeblich reichlichen Verkehr, der an dieser Stelle angeblich in Richtung Kaltenmoor abkürze.
Man wähnt sich fast auf der Ostumgehung, wenn man das liest. Schon im Januar hatte die Wilschenbrucherin mich via Zeitung zu Tränen gerührt: "Morgens werden die Kinder, die mit dem Rad auf dem Weg zur Grundschule sind, wild umbraust. Kleinere Kinder dürfen zwar auf dem Fußweg fahren, aber der ist in einem beklagenswerten Zustand. Und ich weiß, dass auch Erwachsene die Allee zwischen den Auenwiesen mit einem schlechten Gefühl entlangradeln. Dort wird man von Autofahrern mit Tempo 60 überholt." Im selben Artikel war übrigens die Rede davon, dass sich einige auf ihrem Eiland zwischen Ilmenau und Tiergarten vom geplanten Bau von Mehrfamilienhäusern gestört fühlen.
Wahrscheinlich ist es eine böswillige Vermutung, dass Wilschenbrucher des Morgens aus ihrem grünen Quartier an den Purzeln vorbeisausen auf dem Weg ins Büro. Oder Muttis und Papis die Kleinen zur Grundschule im Roten Feld fahren. Eltern-Taxis? Nie, nie, nie in Wilschenbruch. Das Viertel mit seinen nicht einmal 700 Einwohnern wäre dann nur über die Ebert-Brücke und den Pirolweg und An der Soltauer Bahn, was einen Ausbau bedeutet, zu erreichen. Könnte brenzlig werden, wenn Polizei, Rettungsdienst und Feuerwehr es eilig haben.
Wilschenbruch ist der einzige Lüneburger Stadtteil, der nicht an den Linienbusverkehr angeschlossen ist. Vermutlich braucht kaum einer die Verkehrswende mit Transportmitteln der Massen. Die E-Bike- und Tesla-Dichte soll hoch sein. Alles Sozialneid, sorry. Bestimmt am Thema vorbei. Schließlich geht es um Großes.
Die anderen, die an Schießgraben-, Hindenburg- und Lindenstraße leben, finden es völlig ok, dass jeden Tag Tausende an ihren Häusern vorbeifahren, auch die aus Wilschenbruch. Nehmen wir es positiv: Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht.
Was war noch so? Das eigene Gewerbegebiet am Bilmer Berg vermarkten die Wirtschaftsförderung und eine Partnerbank aus dem Landkreis Harburg. In Amelinghausen agiert das Duo bereits ähnlich. Lüneburg selber schafft das nicht mehr mit der eigenen Wirtschaftsförderung und einer Tochter der Sparkasse. Wie schön, dass man Freunde hat. Ganz toll ebenfalls, dass so viele Touristen kommen, das zeige, wie schön unsere Stadt sei. Wer nicht vor Freude tanzt, sei eine notorische Spaßbremse. Dass in der Altstadt beispielsweise Häuser zu Ferienwohnungen mutierten, nehmen alle auf Wohnungssuche gern hin. Sie denken eben groß.
Lustig ist der Mann, der Wirtschaftsminister ist. Sein Kumpel und dessen Verwandtschaft haben gute Beziehungen untereinander, um es ökologisch zu beschreiben: ein Biotop, gut verwachsen. Herr Habeck wollte an seinem Freund festhalten, nun habe der "einen Fehler zu viel" begangen. Ja, gute Führung bedeutet, zu Mitarbeitern zu stehen, wenn sie mal daneben liegen. Aber einer, der Profi sein möchte, darf nicht naiv sein, wenn er an der Spitze bleiben will. Jemand muss gehen, wenn er so familienfreundlich agiert. In die Tiefe gehende Beliebtheit zwingt zum Handeln. Selbst bei den Grünen.
Ach ja, Freundschaft zählt weiter. Bei Gabor Steingart habe ich gelesen, stimme der Bundespräsident zu, Staatssekretär Graichen in den einstweiligen Ruhestand zu versetzen, beruhigt neben einem Übergangsgeld ein kleines Trostpflaster: „Sollte Graichen die Voraussetzungen für das Ruhegehalt erfüllen, stehen ihm außerdem bis zum Lebensende mindestens 35 Prozent seiner letzten Amtsbezüge zu. Konkret: 5.250 Euro im Monat.“
Seine Fans werden Habeck nicht in den (Heizungs-)keller der Meinungsforscher schicken. Denn der verwuschelte Minister und Philosoph kann so warmherzig zerknirscht gucken, dass man ihn am liebsten in den Arm nehmen möchte: "Ach, Robert, das wird schon." Und seine Partei, bei anderen gern sehr kritisch, ist eben seine Partei.
Also alles wie immer. Vielleicht läuft es kommendes Wochenende besser. Dann ist Pfingsten, möge sich der heilige Geist über uns ergießen wie einst über die Jünger Jesu. Ansonsten: wird schon. Carlo Eggeling
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