Winsen, am Montag den 18.08.2025

Begegnungen hinter Stacheldraht

von Christiane Bleumer am 30.05.2017


Museumsleiterin Prof. Dr. Heike Düselder vor einem der großformatigen Fotos.

Es gab eine Bäckerei und eine Molkerei, in einem Handwerksbetrieb wurde Holzspielzeug hergestellt und es waren zwei Teiche angelegt worden, in denen man sich erfrischen und schwimmen konnte. Was eher nach einer Dorfidylle klingt, ist ein japanischen Kriegsgefangenenlager in der Zeit des Ersten Weltkriegs. Rund 1000 deutsche und österreichisch-ungarische Soldaten waren im Ersten Weltkrieg in Bando, das im heutigen Naruto liegt, interniert. Als Japan in den Ersten Weltkrieg eintrat und Gefangene unterbringen musste, fühlte man sich den Vorgaben der Haager Landkriegsordnung verpflichtet. Daher ist Bando bis heute zum Synonym für eine humane Unterbringung von Gefangenen geblieben. „Das gesamte Lagerleben ist von dieser relativ offenen Einstellung geprägt“, erläutert Prof. Dr. Heike Düselder, Leiterin des Museums Lüneburg, das sich noch bis zum 23. Juli in der umfassenden Ausstellung „Begegnungen hinter Stacheldraht“ dem Leben in diesem außergewöhnlichen Lager widmet. „Hinzu kommt, dass der damalige Lagerkommandant Tayohisa Matsue als besonders deutschfreundlich galt und kulturelle Brücken baute“, erläutert die Museumsleiterin weiter.

Die gute Behandlung begann damit, dass die Betten groß genug für die im Gegensatz zu den Japanern groß gewachsenen Deutschen gebaut wurden. Auch die Verpflegung und Unterbringung waren völlig in Ordnung. Das einzige Problem sei die Langeweile gewesen, so die Historikerin. Doch diese sei in Bando positiv umgewandelt worden. Zusätzlich zu den Handwerksbetrieben entstand nämlich vor allem auch ein lebendiges kulturelles Leben. Ein ehemaliger Deutschlehrer etwa schrieb Theaterstücke für die Aufführung im Lager um, zum Beispiel Minna von Barnhelm. Eine Lagerzeitung wurde in der eigens dafür gegründeten Druckerei herausgegeben. Auch ein „Lehrbuch für japanische Umgangssprache“ entstand und ist in der Ausstellung als Leihgabe aus Japan zu betrachten. „Am meisten und bis in die Gegenwart hinein hat jedoch ein musikalisches Projekt gewirkt“, beschreibt Heike Düselder das Lagerleben. In Bando müsse es zahlreiche talentierte Musiker gegeben haben, vermutet sie. Noten und Instrumente wurden zusammengetragen und so formierte sich ein Orchester mit Streichern und Blasinstrumenten. Im Juni 1918 kam es schließlich zu einer großen Aufführung. Kurz vor ihrer Heimkehr aus der Gefangenschaft spielte dieses Orchester im Lager Bando Beethovens 9. Symphonie. Die Frauenstimmen waren kurzerhand in Männerstimmen umgeschrieben worden. Das war auch gleichzeitig die Erstaufführung dieses Werkes in Japan und begründete den einzigartigen Platz, den dieses Werk bis heute in der japanischen Kultur hat. Schon dortige Kindergartenkinder können den deutschen Text der Ode an der Freude im vierten Satz auswendig und textsicher singen. Beethovens Werk wird regelmäßig aufgeführt und hat sich in den vergangenen fast 100 Jahren in Japan quasi zu einer heimlichen Nationalhymne entwickelt.

Begegnungen hinter Stacheldraht

Deutsche Kriegsgefangene im Lager Bando in Japan 1917–1920, Sonderausstellung bis zum 23. Juli 2017 Museum Lüneburg, Willy-Brandt-Straße 1, 21335 Lüneburg www.museumlueneburg.de

© Fotos: Bleumer


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